Praxistest Land Rover Defender 110 D300
Der Land Rover Defender ist so bullig wie sein Vorgänger, aber längst nicht mehr so spartanisch. Kann er abseits von Wald und Wüste sogar zur Familienkutsche werden? Wir haben es getestet.
Wenn im Rückspiegel die Löwen lauern, vor dem Auto der Treibsand droht und rechts und links nur undurchdringlicher Dschungel wartet, dann kann man bloß hoffen, in einem Land Rover zu sitzen. Der bringt einen wenigstens aus jedem Schlamassel auch wieder heraus. Mit drei Kindern an Bord im City- oder Vorstadt-Dschungel verschieben sich die Prioritäten. Doch nicht jeder will einen langweiligen Van oder einen drögen Kombi. Wie wäre es da mit einem richtig fetten Land Rover, der in seiner neuen Generation viel mehr sein will als nur das Eisenschwein für die Kalahari? Wir haben es ausprobiert.
Land Rover Defender: Karosserie und Innenraum
Uff! Beim Anblick dieses Trumms vor der Garage steht nicht nur den Kids der Mund offen. In die Garage, wo das eigene brave Familien-SUV parkt, hätte der Briten-Klotz gar nicht erst hinein gepasst: Zu hoch und vor allem zu breit. Dabei handelt es sich „nur“ um die mittlere, fünf Meter lange und fünfsitzige Defender-Version 110 und nicht mal um den gestreckten 130 mit bis zu acht Plätzen.
Das Einsteigen in den Briten-Offroader erfordert für die Kids eine ähnliche Taktik wie beim Klettergerüst auf dem Spielplatz. Dafür freuen sich Papa und Mama: Das Anschnallen im Kindersitz geht in etwa auf Brusthöhe und damit schön rückenfreundlich.
Auch zu fünft genug Platz
Auch beim Platzangebot geht es bequem zu, vor allem, wenn man den aktuellen Defender mit seinem spartanischen Vorgänger vergleicht, der nicht mal einen höhenverstellbaren Fahrersitz hatte. Kopf- und Kniefreiheit sind üppig; für Kinder sowieso, aber auch für Erwachsene. Sogar am Beifahrersitz hat der Defender Isofix-Halterungen. Damit gelingt die Familien-Tour auch zu fünft: Ein Elternteil am Steuer, der andere hinten in der Mitte, rechts und links sowie auf dem Beifahrersitz der Nachwuchs.
Beim Kofferraum muss sich der Defender allerdings dem eigenen, etwas kleineren Familien-SUV geschlagen geben, trotz der nominell hohen Kapazität von 786 Litern. Dem Laderaum fällt es zwar nicht an Höhe, aber an Tiefe. Die enorm hohe Ladekante nervt. Die seitlich öffnende Hecktür mit dem Reserverad ist auch nicht wirklich praktisch. Aber ohne dieses Feature wäre ein Defender natürlich kein echter Defender. Zudem gibt’s im Zubehör-Katalog ja reichlich Dachaufbauten für Gepäckträger.
Gut sind in jedem Fall die vielen Ablagen im Landy. Ein großes Staufach in der Mittelkonsole, eine bei Bedarf zum zusätzlichen Becherhalter mutierende Maxi-Ablage davor – das ganze Familien-Geraffel kommt irgendwo unter.
Bedienung und Infotainment
Das wichtigste Element im Defender sind die vielen Kameras und Parksensoren, denn wirklich übersichtlich ist der Wagen trotz der klaren Karosserielinien nicht. Gerade im Stadtverkehr fährt man deswegen lieber immer eine Spur langsamer und verhaltener. In vielen Parkhäusern versucht man erst gar nicht, den dicken Briten-Brummer unterzustellen und auch ein Freiluft-Parkplatz ist für den Fünfmeter-Wagen nicht immer leicht zu finden.
In Sachen Infotainment schließt Land Rover einen Schritt zu den Klassenbesten wie Audi oder Tesla auf. Dennoch sind einige Informationen und Einstellungen wie die Anzeige des Momentan-Verbrauchs tief in Menüs versteckt. Android Auto und Apple CarPlay laufen flüssig. Für die wichtigsten Einstellungen wie Klimatisierung gibt’s noch klassische Knöpfe und Dreh-Regler mit Mehrfachbelegung.
Das Schöne am Land Rover bei der Nutzung als Familienfahrzeug ist seine Robustheit innen wie außen. Die Kids verschütten Tee oder nutzen mal wieder während der Fahrt die Rückenlehne der Vordersitze als Fußabtreter für die Gummistiefel? Egal. Verschlammtes Sandkastenspielzeug oder Matschhosen einfach in den Kofferraum schmeißen? Kein Problem. So edel der Land Rover Defender mittlerweile auch geworden ist, er bleibt hart im Nehmen.
Fahrwerk und Fahrverhalten
Während der alte Defender auf der Straße einfach grauslig war, wurde der neue von „50% Traktor-Feeling“ auf „maximal 20% Traktor-Feeling“ upgegradet. Das hohe Gewicht und die eher unpräzise Lenkung entfernen ihn immer noch vom domestizierten SUV, doch der hohe Federungskomfort und das insgesamt gutmütige Fahrverhalten machen den Landy zu einer ziemlich entspannten Angelegenheit. Bei Bedarf natürlich mit voller Offroad-Kapazität mit Untersetzung und Sperren, wobei für geschätzt 99% aller Alltags-Einsätze der ganz normale Allradantrieb ohne weiter zugeschaltete Hilfen und Offroad-Progamme ausreicht.
Motor und Verbrauch
Den Land Rover gibt es mittlerweile auch als Plug-In-Hybrid, an Bord unseres Testwagens arbeitete aber der D300 (Sechszylinder-Dieselmotor mit 221 kW / 300 PS). Die stärkste Dieselmotorisierung treibt den schon leer 2,4 Tonnen schweren Offroader mit enormen Druck an. In 7 Sekunden geht es von 0 auf 100 km/h und das Überholen auf der Landstraße wird zum Kinderspiel. Die serienmäßige Achtgang-Automatik schaltet weich und unauffällig. Das knochige Schaltgetriebe des alten Defender vermissen höchstens hartgesottene Fans, die wahrscheinlich auch gern in einer zugigen Schlossruine in Schottland wohnen.
Unter 10 Liter Verbrauch sind machbar
Etwas brummig geht der Sechszylinder zwar zu Werke, laut wird es durch die gute Geräuschdämmung und die fehlende Notwendigkeit, dem Dreiliter-Motor hohe Drehzahlen abzuverlangen, aber nur selten.
Beim Verbrauch überrascht die rollende Schrankwand von der Insel: Je nach Version und Bereifung gibt der Hersteller zwischen 8,7 und 9,3 Litern Diesel auf 100 km an. Unser Testwagen verbrauchte als voll ausgestattetes Top-Modell HSE mit 9,4 Litern auf 100 km nur marginal mehr, wenn er im gemütlichen Familienausflugs-Modus gefahren wurde. Bei viel Stadtverkehr oder Bleifuß auf der Autobahn fällt natürlich schnell die 10-Liter-Marke; aber beides ist nichts, nach dem man im Defender ein besonderes Bedürfnis hätte.
Kosten und Ausstattung
In diesem Punkt ist der Land Rover leider so gar nicht familienfreundlich. Satte 65.700 Euro kostet der Defender 110 als karg ausgestattetes Basismodell (S) mit 200 Diesel-PS. Der große 300 PS-Diesel startet bei 75.500 Euro, in der von uns getesteten HSE-Ausstattung werden es ohne weitere Extras 93.300 Euro. Immerhin lässt die Ausstattung dann kaum zu Wünschen übrig, wobei die Zubehörliste mit zig verschiedenen Felgen, Lackierungen und Anbauteilen für Abenteuer-Freunde noch viel Luft nach oben bietet.