Praxistest Land Rover Defender 110: Gelände-Legende mit High-Tech-Touch
In 70 Jahren reifte der Land Rover Defender zur Gelände-Legende und Kult-Mobil heran, die weder Matsch noch Morast, Hochgebirge noch Holperpfade, Wüsten noch Wasserläufe aufhalten konnten – bis sie sich im Dickicht der EU-Regularien um Abgasnormen und Fußgängerschutz verfing. Der Nachfolger erfüllt nun alle Standards, ohne auf seine überragenden Offroad-Fähigkeiten zu verzichten. Und doch darf man fragen: Wieviel Landy steckt noch im Defender?
Der Vergleich
Die Frage ist schon allein deshalb berechtigt, weil im Konfigurator auch noch Discovery und Range Rover angeboten werden. Beide verfügen über ähnliche Geländewagen- und Technik-Skills, stehen aber traditionell eher für Luxus und Komfort, während der Defender immer das ebenso robuste wie kostengünstige Nutzfahrzeug im Hause Land Rover war (auch wenn die Preise am Ende für die letzten Originale durch die Decke gingen). Das ist mit der Neuauflage vorbei. Denn aus dem knorrigen Geländegänger mit starrem Leiterrahmen von einst ist ein Hightech-Offroader geworden, der mit selbsttragender Alu-Karosse, Einzelradaufhängung, Achtgangautomatik und optionaler Luftfederung sehr nah an seine Edel-Modellbrüdern heranrückt. Was im Falle des Discovery auch nicht weiter wundert, teilen sich doch beide technische Plattform und Motoren. Aber es gibt natürlich auch modelltypische Unterschiede.
Die Optik
So sind die eher eckige Grundform, die aufrechte Front und das fast senkrecht abfallende Heck mit den separierten LED-Rückleuchten typische Defender-Merkmale, gepaart mit modernen Insignien wie den halbrunden Matrix-LED-Scheinwerfern und der flacheren Frontscheibe. Auch die Oberlichter in den Dachholmen und die große, seitlich angeschlagene Tür samt vollwertigem Reserverad sind sehr charakteristisch. Letzteres trägt, neben der lichten Höhe und bulligen Breite von gut zwei mal zwei Metern, wesentlich zur imposanten Erscheinung der 5,02 Meter langen 110er-Version bei, die mit mehr als drei Metern Radstand fünf Menschen bequem Platz einräumt. Die dürften dann sogar auch noch mehr als 970 Liter Gepäck mitbringen, das über eine erhöhte, aber noch akzeptable Ladekante auf die gummierte Ladefläche gewuchtet werden muss.
Das Interieur
Auch das Interieur im Rustikal-Look inklusive Inbusschrauben und wasserabweisender Kunststoffblenden unterscheidet sich deutlich vom edleren „Disco“-Ambiente und kann als Reminiszenz an die Landy-Tradition durchgehen. Wenn auch hier die Komfortdetails sofort ins Auge springen. Das beginnt bei den bequemen (Hoch-)Sitzen, auf denen nun selbst mehrstündige Langstreckenfahrten locker auf der berühmten Backe abgerissen werden können. Und geht weiter beim heizbaren Multifunktionslenkrad, das man im Original ebenso wenig fand wie ein Digital-Cockpit oder das Pivi Pro genannte Infotainment-System. Herzstück ist hier ein hoch auflösender, zehn Zoll großer Touchscreen, auf dem das Funktionsmenü intuitiv über logisch geordnete Icons aufgerufen werden kann.
Die Cockpitübersicht
Alternativ lassen sich Navigationshinweise und Fahrdaten aber auch in brillanter Darstellung über das 12,3 Zoll große Instrumentendisplay vor dem Lenkrad abrufen, auch wenn dessen Bedienung etwas hakelig ist. Und auch das Smartphone kann nun ins Bordsystem integriert werden, sogar zwei Handys parallel. Dazu gibt es jede Menge USB-A- und USB-C-Anschlüsse sowie 12-V-Steckdosen. Zwar wirkt die Armaturenlandschaft mit ihren vergleichsweise vielen Tasten und Schaltern sowie den unterschiedlichen Materialien und Texturen insgesamt etwas zerklüftet. Spätestens nach der dritten Fahrt hat man sich daran aber gewöhnt und erfreut sich an den vielen kleinen und großen Ablagemöglichkeiten.
Die Offroadeigenschaften
Gut 29 Zentimeter maximale Bodenfreiheit, Böschungswinkel vorne und hinten um die 40-Grad, 90 Zentimeter Wattiefe (Gewässertiefe, durch die man fahren kann) sowie 45 Grad Neigungs- und 100 Prozent Steigfähigkeit zeigen, dass der Defender auch seine legendären Offroad-Qualitäten nicht eingebüßt hat. Mit permanentem Allradantrieb, zweistufigem Verteilergetriebe, einem sperrbaren Mittendifferential sowie der aktiven Hinterachssperre kraxelt er nach wie vor sowohl steile Hänge hinauf wie er Schlamm- und Geröllpisten durchpflügt. Dazu muss der Mensch am Lenkrad nicht mal groß was davon verstehen. Das Terrain-Response-System mit seinen zahlreichen Fahrprogrammen zieht Fahrzeug und Fahrer aus so gut wie jedem Schlamassel. Dazu kommt eine weitere Land-Rover-Technologie, die der Defender von seinen edlen Brüdern übernommen hat: Das „ClearSight Ground View“ macht die Motorhaube praktisch durchsichtig, indem Kameras Bilder vom Untergrund unmittelbar vor den Vorderrädern auf den Touchscreen im Armaturenbrett übertragen.
Das Fahrverhalten
Was wirklich überrascht, ist das Fahrerlebnis, wenn der Defender sich den Staub abgeschüttelt hat und wieder festen Asphalt unter den Rädern hat. Hier ist der Landy nicht wiederzuerkennen. Das Traktor-Feeling ist einem herrschaftlichen Hochsitz gewichen. Laufruhig und geschmeidig federt der Wagen auch ohne optionale Luftfederung über Querfugen und Verwerfungen im Asphalt, wo er bisher rau darüber hinweg hoppelte. Und während es früher bei hohem Tempo auf der langen Geraden immer ein Kampf mit den Elementen – und dem eigenen Fähigkeiten – war, sind heute auch lange Etappen spielerisch zu meistern. Selbst kurvige Passagen pariert das ebenso straff wie komfortabel gestimmte Fahrwerk mit adaptiver Dämpferregelung und großer Gelassenheit. Erstaunlich, wie die Lenkung jede Kursabweichung des Trumms präzise und mit geringem Kraftaufwand umsetzt.
Der Motor
Apropos Kraft: Neben einem neuen 5-Liter-V8-Kompressor mit 525 PS sowie einem Plug-in-Hybrd mit 404 PS Systemleistung hat Land Rover erst jüngst alle Vierzylinder-Diesel durch moderne 3-Liter-Reihensechszylinder mit 200, 249 und 300 PS ersetzt, von dem der mittlere, unser Testwagen, unter der mächtigen Haube brummelte. Der Selbstzünder verhält sich so, wie man das von einem hubraumstarken Sechsender erwarten kann: laufruhig und lässig, aber kraftvoll und drehmomentstark, wenn er gefordert wird. Schon ab 1250 Touren, also knapp oberhalb des Standgases, schieben 570 Nm Drehmoment das schon leer 2,3 Tonnen schwere Gefährt mühelos voran. Bleibt der Fuß auf dem Pedal geht es in 8,3 Sekunden auf Landstraßentempo, bevor bei knapp 190 km/h zugunsten eines halbwegs akzeptablen Verbrauchs abgeregelt wird. Schon bis dahin werden locker 14 bis 15 Liter fällig, doch wer es bei konstanten 130 -140 km/h belässt, kommt auch mit den angegebenen 9,3 Liter durchaus hin.