HONDA CIVIC: Dr. Jekyll oder Mr. Hyde?
Wer sich für den neuen Honda Civic interessiert, wird vor eine Grundsatzfrage gestellt: Sparsamer Hybrid oder Spitzensportler?
Der Honda Civic darf als Konstante in der Automobilwelt gesehen werden. Seit 1972 ist der japanische Kompaktwagen am Markt – inzwischen schon in der elften Generation. Mit mehr als 20 Millionen verkauften Autos ist der Civic zweifellos Hondas Bestseller – eine Erfolgsgeschichte, die Honda nun fortführen möchte. Deswegen wurde das Design in der Neuauflage im Vergleich zum Vorgänger eleganter und weniger polarisierend. Zudem wurden Radstand (um vier Zentimeter) und Karosserie (um drei Zentimeter) gestreckt. Mit nun 4,55 Metern Länge ist er der Kompaktklasse schon fast entwachsen – und kann auch schon als Limousine gesehen werden. Das Wachstum zahlt sich jedenfalls für die Passagiere in der zweiten Reihe aus, welche mit ordentlicher Beinfreiheit sitzen. Zudem ist der Kofferraum mit 455 bis 1220 Litern Volumen absolut reisetauglich. Den Trend zu immer grösseren Displays und immer weniger physischen Knöpfen geht Honda nicht mit. Stattdessen wirkt das Cockpit eher konventionell, alle Funktionen lassen sich auf Anhieb leicht bedienen.
Der Touchscreen wurde hoch auf dem Armaturenbrett montiert. Seine Grafik wirkt zwar nicht hochmodern, doch reagiert das System schnell auf eingaben und lässt sich ohne Rätsel bedienen; hinzu kommt die kabellose Smartphone-Integration über Apple Carplay oder Android Auto. So fühlt man sich im neuen Civic auf Anhieb wohl, zumal er mit bequemen und vielseitig verstellbaren Sitzen guten Reisekomfort verspricht.
Das löst der Wagen auch ein – die Geräuschdämmung ist für ein Auto dieser Klasse sehr gelungen und das Fahrwerk wirkt gekonnt abgestimmt. Sauberer Geradeauslauf und geringe Seitenneigung in Kurven treffen auf souveränen Federungskomfort.
Unter der Haube gibt es wenig Auswahl: Hier kommt ein Vollhybrid mit 184 PS, stufenlosem Automatikgetriebe und Frontantrieb zum Einsatz. Das System verfügt gleich über zwei E-Motoren und überzeugt mit gutem Durchzug sowie direktem Ansprechverhalten. Der Werksverbrauch von 4,7 l/100 km erscheint nach der ersten Testfahrt durchaus realistisch, sofern man keine sportlichen Ambitionen an den Tag legt. Hegt man diese, ist man mit dem «anderen Civic» mehr als gut bedient: Auch die legendäre Sportversion «Type R» geht in die nächste inzwischen fünfte Runde und wurde in typisch japanischer Manier, bis ins kleinste Detail optimiert.
Feinschliff an allen Ecken
Der Zwei-Liter-Turbomotor wurde an Turbolader, Ansaug-und Abgassystem sowie an der Kühlung überarbeitet. «Er leistet nun 329 PS und 420 Nm. Ein PS weniger als bei der japanischen Version, da wir für Europa einen Partikelfilter verbauen mussten», erklärt Ko Yamamoto, Technical Advisor bei Honda Europe. Aber ohnehin ist es nicht die Leistung, welche diesen Motor ausmacht. Er begeistert bei der ersten Ausfahrt mit sehr direkter Gasannahme und ausgeprägter Drehfreude; ein echter Sportmotor eben.
Er schickt seine Kraft traditionsgemäss an die Vorderräder, wo sie von einem Sperrdifferenzial unter Kontrolle gehalten wird. Geschaltet wird über eine Sechs-Gang-Handschaltung, welche mit kurzen Wegen und knackigem Schaltgefühl zu den besten ihrer Art gehört – und den Fahrer auf Wunsch mit automatischem Zwischengas unterstützt. Um den Civic zum Type R zu machen, hat Honda aber weit mehr als nur den Antrieb geändert. Die Rohkarosse wird dank zusätzlicher Kleb-Nähte versteift, neue Schürzen und ein feststehender Heckflügel sorgen dafür, dass der Kompakt-Sportler erstmals leichten Abtrieb generiert. Zudem gibt es eine grosszügig dimensionierte Bremsanlage, welche durch Öffnungen in der Front gekühlt wird – und auch mehrere Runden auf der Rennstrecke klaglos wegsteckt. Denn: Der Civic Type R ist durchaus für ernsthafte Ausflüge auf die Rennstrecke ausgelegt. Die Vorderachse generiert erstaunlichen Grip, das Heck reagiert perfekt auf Lastwechsel und lenkt entsprechend willig mit. Und die fein abgestimmte Lenkung sorgt dafür, dass das Fahrverhalten völlig frei von Überraschungen ist.