BMW i4/Polestar 2: Vergleichstest
Es muss nicht immer Tesla sein: Der Polestar 2 und der BMW i4 sind attraktive, talentierte Konkurrenten in der Mittelklasse, wie das Ergebnis unseres Vergleichstests eindrucksvoll untermauert.
Neben Tesla zählt Polestar zu den elektrischen Senkrechtstartern. Der BMW i4 begegnet dem Polestar 2 mit einer ähnlichen Rezeptur: E-Power pur auf einer Mischplattform, die neben Verbrenner- auch E-Autos erlaubt. Dazu gibt es ein alltagstaugliches Schrägheck samt großer Kofferraumklappe und Premium-Technik. Wer überzeugt unterm Strich mehr? Antwort geben soll der Vergleichstest mit dem sportlich-eleganten BMW i4 eDrive40 (250 kW/340 PS) und dem extravaganten Polestar 2 mit starkem Dual Motor-Antrieb (300 kW/408 PS).
BMW I4 UND POLESTAR 2 IM VERGLEICHSTEST
Dass der Polestar 2 mit zwei Motoren vorfährt, geht nicht zu Lasten des Raumangebots. Der Fünftürer punktet im Vergleichstest mit seinem Frunk und einem großen Fach unter dem cleveren Ladeboden. Clever, weil dieser über eine aufstellbare Trennwand samt Gummizügen verfügt, etwa um eine Getränkekiste sicher zu fixieren. Die Personen kommen zwar relativ kommod unter, ein Raumwunder ist der rund 4,60 Meter lange Fünftürer aber nicht. Ein Grund dafür ist das riesige Glasdach des Testwagens, das besonders im Fond die Kopffreiheit stark einschränkt. Reihe eins präsentiert sich zwar luftiger, doch hier kostet die massive Mittelkonsole wertvolle Zentimeter, zumal sie nicht mit zusätzlichen Funktionen oder nennenswertem Stauraum aufwarten kann. Der fast 20 Zentimeter längere BMW i4 kann sich beim Platzangebot auch nicht besser in Szene setzen: Er verzichtet auf einen Frunk, und das Platzangebot im Fond fällt ähnlich bescheiden aus. Hier wird es besonders für die Schuhe eng, die kaum unter die Vordersitze passen. Dafür gefällt er mit zahlreichen Ablagen im Innenraum und einem angenehmen Raumgefühl im Cockpit. Zwei verschiedene Welten tun sich beim Infotainment auf: Der BMW packt seine geballte Technik in ein an vielen Stellen überfrachtetes Bediensystem. Das gilt auch für die Bedienmöglichkeiten per Dreh-Drück-Steller, Touchscreen oder Sprachbedienung. Alle Eingabemöglichkeiten funktionieren zwar sehr gut, können aber auch überfordern. Dass mittlerweile auch bei BMW Funktionen wie die Klimaautomatik ins digitale Geflecht gewandert sind, macht es nicht besser. Deutlich einfacher präsentiert sich die Bedienoberfläche des Polestar, die alle wichtigen Funktionen maximal reduziert und kaum individualisierbar darstellt. Das erleichtert zwar die Bedienung ungemein, die schiere Funktions- und Konfigurationsfülle des BMW i4 kann der Polestare 2 allerdings nicht bieten. Qualitativ überzeugen beide Kontrahenten, Punktabzug gibt es für die leichte Klapperanfälligkeit des Polestar auf schlechten Fahrbahnbelägen.
FAHRKOMFORT: POLESTAR 2 TEILS ZU STRAFF
Wer denkt, dass der höher bauende und mit SUV-Elementen versehene Polestar 2 den sportlichen BMW i4 beim Fahrkomfortkapitel des Vergleichstests überflügeln kann, sollte sich vorab die optionale Performance-Ausstattung des in China gebauten Schweden genauer ansehen. Große 20-Zoll-Räder und das auf Fahrdynamik getrimmte, manuell einstellbare Öhlins-Fahrwerk lassen ihn unnötig straff abrollen. Da hilft es ihm auch wenig, dass Federn und Dämpfer gut aufeinander abgestimmt und die Reserven der Federung enorm sind. In gewissem Maße können die bequemen Sitze den Komfortnachteil zwar auffangen, doch das reicht nicht, um dem BMW i4 in diesem Kapitel gefährlich zu werden, der über mindestens genauso bequemes Gestühl verfügt. Er brilliert mit seinem optionalen adaptiven M-Fahrwerk samt niveauausgleichender Luftfederung hinten, das sich von keinerlei Verwerfungen und Fugen aus der Ruhe bringen lässt – egal ob im leeren oder beladenen Zustand. Ebenfalls beeindruckend: der Geräuschkomfort – subjektiv wie objektiv. Der Polestar 2 ist zwar auch E-Auto-typisch leise, doch dringen hier Nebengeräusche stärker in den Vordergrund. Das fällt umso mehr auf, wenn man kurz zuvor noch den BMW i4 bewegt hat.
MOTOR/GETRIEBE: REICHWEITENVORTEIL BEIM BMW I4
Gegen das Datenblatt des doppelt motorisierten Polestar 2 Long Range Dual Motor fällt das des BMW i4 eDrive40 fast schon zurückhaltend aus. Er hat einen E-Motor (an der Vorderachse) weniger und ist 50 kW (68 PS) schwächer. Umso erstaunlicher, wie er mit fast identischem Leergewicht im Vergleichstest ebenbürtige Fahrleistungen erreichen kann. Einzig bei der Endgeschwindigkeit muss er den Polestar 2 ziehen lassen. Hüben wie drüben über alle Zweifel erhaben sind Souveränität und Kultiviertheit der elektrischen Antriebe. Auch die Effizienz kann sich sehen lassen: Testverbräuche von 20,2 (BMW) beziehungsweise 21,0 kW (Polestar) auf 100 Kilometern sind angesichts der großen Fahrzeuge gute Werte. Dass der BMW i4 eDrive40 mehr Reichweite bietet, hat er vor allem seinem um rund fünf kWh größeren Akku und der sehr gut funktionierenden adaptiven Rekuperation zu verdanken. Einmal aktiviert, rekuperiert er unterschiedlich stark oder segelt effizient dahin – je nach Fahrsituation komplett automatisch. Beim Polestar 2 Long Range Dual Motor muss man die Rekuperation in drei Stufen manuell einstellen, was nur über den Touchscreen funktioniert. One-Pedal-Driving bieten beide Konkurrenten. An der „Zapf“säule ist der Bajuware leicht im Vorteil: Er lädt bis zu 205 kW, während sich der Schwede mit 155 kW am Schnelllader begnügen muss. Rund 30 Minuten sollte man bei beiden für die obligatorische Ladung von zehn auf 80 Prozent SoC (State of Charge) einplanen, weil die Ladekurven recht schnell abfallen. Dank Reichweiten von deutlich über 300 Kilometern sind regelmäßige Besuche am Schnelllader aber vergleichsweise selten. An der heimischen Wallbox laden der BMW i4 und der Polestar 2 mit handelsüblichen elf kW.
FAHRDYNAMIK: STARKE STOPPER BEIM POLESTAR 2
Um es vorwegzunehmen: Beide Elektro-Limousinen sind ausgewiesene Dynamiker. Doch der Weg zum Ziel ist jeweils ein anderer. Der Polestar 2 definiert sich über die Kraft seiner zwei Herzen, die er traktionsstark an alle vier Räder verteilt. Wer nun allerdings glaubt, stumpfes Strompedal-Treten reicht, um schnell unterwegs zu sein, irrt. Die Kraft will im Grenzbereich wohldosiert werden, um sich nicht in unnötigen Lastwechseln zu verheddern. Wem das gelingt, der ist dann auch querdynamisch verdammt schnell unterwegs. Ganz anders präsentiert sich hier der BMW i4, der in jedem Moment des Vergleichstests genau das Fahrverhalten an den Tag legt, das man von ihm erwartet. Ein Grund dafür sind auch die gut abgestimmten ESP- und ASR-Systeme, die den Hecktriebler – wenn nötig – subtil regelnd in der Spur halten. Doch es gibt zwei Dinge, die dem BMW die Fahrdynamik verhageln können: traktionsraubende Nässe und die selbstständige Reduzierung der Leistung. Letzteres tritt schon nach wenigen Minuten auf dem Handlingkurs ein – zu früh angesichts der Fahrfreude, die der BMW i4 vom Start weg vermittelt. Bei beiden Kontrahenten über jeden Zweifel erhaben sind die aufpreispflichtigen Bremsanlagen, die die über zwei Tonnen schweren Fuhren stets sicher im Griff haben.