
TEST: RANGE ROVER P510E SV
Der Range Rover ist zum Inbegriff des stilvollen Luxusautos geworden – aber wie passt der Riese in das elektrische Zeitalter? Einen Vorgeschmack gibt er mit seinem Plug-in-Hybridantrieb, der im Test rund 80 Kilometer ohne Benzin geschafft hat. Wie der PHEV-Antrieb trotz mehr als 500 PS zur Vernunftvariante wird, wann er hemdsärmelig anpackt und wo er sich von seinen Artgenossen unterscheidet, warum man über weite Strecken in anderen Sphären schwebt und mitunter doch an irdische Grenzen stößt – alle Antworten im Test mit dem SV-Topmodell.
Um wen geht es?
Der große Range Rover ist zum Inbegriff des stilvollen Luxusautos geworden. Die Limousinen tun sich generell etwas schwer mit dem Zeitgeist und die anderen Geländewagen der obersten Luxusliga sind, wie soll man sagen, ein wenig schrill. Der Range Rover ist dagegen inzwischen ein Klassiker, ein Unikat, eine optische Ikone wie der Porsche 911. Hat man die Formensprache einmal verinnerlicht, erkennt man jede Generation von weitem. Die Kernelemente des Designs sind unantastbar, es geht beim Modellwechsel um den jeweiligen Modernisierungsgrad. Detailarbeit, mit der sich die Eleganz des Auftritts nochmal weiterentwickelt. So wie es auch Porsche, Rolex, Chanel oder Hermes mit ihren Ikonen seit Jahrzehnten machen.
Wie hat sich das Range Rover-Design in der neuen Generation verändert?
Es ist vor allem glatter geworden. Das Designteam hat überall Flächen geebnet und Übergänge harmonisiert. Dabei wurde viel Aufwand betrieben. Design ist bei Range Rover inzwischen wirklich sehr wichtig. Und wer den Chefdesigner, und bisweilen auch Chefstrategen, Gerry McGovern, einmal kennengelernt hat, weiß auch, dass er keinen optischen Kompromiss eingehen würde. Ziel des kollektiven Feinschliffs beim neuen Modell war, die Karosserie als Ganzes wirken und wie „aus einem Guss“ erscheinen zu lassen. Zu den Highlights der Umsetzung zählen ein fugenloser Übergang zwischen Türen und Seitenscheiben, eine nahezu ebene Seitenfensterfläche sowie die außerhalb ihrer Arbeitszeit völlig unsichtbaren Rücklichter. Alles Dinge, die man in der Serie so noch nicht gesehen hat.
Vorne und seitlich ist der Entwurf zumindest auf den ersten Blick relativ nah am Vorgänger, das muss man als konservative Politik werten, aber nicht schlecht finden. Das Heck zeigt dagegen ohne Zweifel ein neues und in seiner Schlichtheit todschickes Design.
Das Testfahrzeug war ein SV, also das neue Topmodell der Range Rover-Palette und dieser Funktion Nachfolger des SVAutobiography. Diese Variante wird veredelt durch die Abteilung „Special Vehicles Operations“, die überall dezente Akzente setzt, die andere Varianten nicht haben. Im Fall des Testwagens handelte es sich um das „Intrepid“-Designthema mit dunklen Anthrazit- und Graphit-Elementen. Das runde SV-Logo am Heck sticht dagegen in Weiß heraus, das ist – eine zugegeben kleine – Geschmackssache. Generell ist SV ein Türöffner, nur die Kunden dieses Topmodelles haben ausstattungsseitig weitreichende Individualisierungs-Möglichkeiten: Mathematisch sind für einen Range Rover SV rund 1,6 Millionen Konfigurationen möglich, haben die Briten ausgerechnet. Da sind die extravaganten Sonderlackierungen nur die augenscheinlichste Spielart von vielen.
Alles in allem lassen wir stilistisch wenig über den Range Rover kommen, halten ihn als Inbegriff des stilvollen Luxusautos für relativ unantastbar. Man kann den Briten allerdings, im Verhältnis zur europäischen Umgebung, schon ein wenig groß finden. In LA oder Dubai ist das kein Thema, aber Wien ist eben doch ein bisschen enger. Als inzwischen auch sehr große, aber nicht ganz so große, Alternative bietet sich dann der neue Range Rover Sport an.
Was bietet der Innenraum?
Zunächst die Gewissheiten. Man thront in einem Range Rover sehr hoch, oberhalb aller SUVs, standesgemäß quasi. Fahrer- und Beifahrersitz werden nach außen gerückt und genießen den unverwechselbaren Ausblick auf die flache Motorhaube – beide Maßnahmen dienten ursprünglich der besseren Übersicht im Gelände, werden aber trotz überwiegender Nutzung auf der Straße seit über 50 Jahren in jede neue Modellgenerationen übernommen. Wie immer gibt es auch die unvergleichlich große und bequeme Leder-Armauflage unterhalb des Fensters, da passt auch die edle Armbanduhr des Fahrers gut hin. Der zweite Arm bekommt ebenfalls eine bequeme Ablagemöglichkeit, sie ist wie gewohnt in die Vordersitze integriert. Gelernte Range Rover-Fahrer schätzten es, dass sie den rechten Arm auflegen und trotzdem das Lenkrad gut halten können.
Die Vordersitze werden in der neuen Generation mehr denn je zu High-Tech-Thronen, groß wie Fauteuils und mit bis zu 24-facher Verstellung. Wir hatten bei langen Sitzungen von über sechs Stunden pro Tag keinerlei Probleme. Hinten waren im Testwagen die vielfach justierbare Einzelsitze verbaut, die mit Massage- und Kühlfunktionen ausgestattet werden können und auf Wunsch in eine halbe Liegeposition fahren. Dann kann man auf den Einzel-Bildschirmen davor bequem Filme schauen. Längst ist der Range Rover auch ein Chauffeurauto, nicht zuletzt mit höherem Coolness-Faktor als die Limousinen. Dass man in die Limos leichter einsteigt, vor allem mit Kleid oder Rock, ist auch klar, dafür ist die Aussicht weiter oben dann aber besser.
Bei der Einrichtung bewegt sich der große Range Rover generell in hohen Sphären. Aus solchen Mengen an feinem Leder würden Hermes und Chanel eine halbe Handtaschenkollektion machen. Längst wird die Britishness modern interpretiert, sie ist von der Schwere früherer Jahrzehnte restlos befreit. Es dominieren schnörkellose, glatte Flächen und dezente Materialien. Farbliche Homogenität wird bis in die hintersten Winkel des Innenraums hergestellt – wobei der Testwagen mit SV-Topausstattung bei Komfort und Luxus zwar aus dem Vollen schöpfte, sich mit dem „Intrepid“-Designthema aber eher dezent gab: Weitgehend in Schwarz gehalten, ist die volle Pracht des fast vollständig mit Leder ausgekleideten Interieurs nicht so augenscheinlich wie bei einem hellen oder zweifärbigen Farbschema. Wenn man dann mal sitzt, hat man aber schnell den Duft des Leders in der Nase und spürt die edlen Oberflächen überall.
Ist der Innenraum technisch auf Höhe der Zeit?
Es gab Phasen, da war der Range Rover bei der Multimediatechnik nicht wirklich vorne dabei. Das hat sich geändert. Die auch optisch elegante Pivi-Pro-Software des Multimediasystems reagiert schnell und funktioniert rätselfrei. Wie beim Smartphone arbeitet man sich mit Wischen und Tippen zielsicher durch die Menüs, hat die Abläufe bald verinnerlich – wir haben uns im Test jedenfalls nicht ärgern müssen, das heißt was. Gängige Online-Funktionen wie Updates „over the air“ und dynamische Routenführung sind vorhanden. Mit Amazons Alexa wachsen die Möglichkeiten der Sprachsteuerung. Apple CarPlay und Android Auto werden kabellos gekoppelt und am Bildschirm großflächig eingebunden – wie so oft wird dabei ziemlich viel Saft aus dem Handy-Akku gezogen und etwas ältere Handymodelle können beim induktiven Laden heiß werden, aber die haben Range Rover-Fahrer wohl nicht. Dass sich nicht nur mehrere Handys gleichzeitig mit dem Auto verbinden lassen, sondern auch unterschiedliche Elemente aus den Smartphones in das Fahrzeug-Multimediasystem übernommen werden können– etwas Android Auto vom einen, Musik und Telefon vom anderen – zeigt, wie weit JLR inzwischen softwareseitig ist.
Ein No-Go sind bei den eleganten Briten aber Riesenbildschirme, wie sie einige andere Marken quer über das Armaturenbrett verbauen. Dezent wird High-Tech zelebriert, das 13,1-Zoll-Tablet aus hochwertigem Glas sieht auf dem Leder-Armaturenbrett sehr edel aus. Dazu gibt es 13,7-Zoll-Digitalarmaturen für den Fahrer.
Außergewöhnlich komfortabel ist im Range Rover die Klimatisierung – Zug fast ausgeschlossen. Durch das Plug-in-Hybrid-System ist eine Standheizung serienmäßig dabei, es kann im Winter mit der Energie in der Batterie vorgeheizt werden kann. Erwähnenswert ist noch das Luftreinigungssystem mit PM-2.5-Filter, es basiert auf medizinischer Technik und entzieht der Luft Partikel und Allergene, um die Insassen vor Staub, Pollen und Viren zu schützen.
Und wenn wir bei der Technik sind: Das Soundsystem von Meridian mit bis zu 1.900 Watt und 35 Lautsprechern spielt im großen und hochfesten Raum – die neue Fahrzeug-Architektur erhöht die Karosseriesteifigkeit um bis zu 50 Prozent – wunderbar auf.
Wie praktisch ist der Range Rover?
Range Rover-Familien dürfen gerne groß sein, das Kofferraumvolumen ist mit 725 bis 1.841 Litern entsprechend dimensioniert. Zum Einräumen lässt sich das Heck per Knopfdruck deutlich absenken, einen Kombi belädt man natürlich trotzdem leichter. Auch viele weitere Beladungsabläufe – zum Beispiel Fondsitze umklappen, Kofferraumabdeckung zurückfahren – sind elektrisch. Wer die Dinge gerne anpackt, könnte sich an den Sekunden des Wartens stören, die damit verbunden sind, oder auch an den Risiken eines Ausfalls. Viele werden das Service aber auch schätzen, zumal es nach der Gewöhnungsphase sehr gut funktioniert.
Dass der Range Rover geradezu hemdsärmelig anpackt, wo Technikkollegen passen müssen, zeigt sich beim genaueren Hinschauen: Er ist einer der wenigen Plug-in-Hybride am Markt, bei denen der Kofferraum nicht durch die PHEV-Batterie dezimiert wird (weil sie stattdessen unter den Rücksitzen verbaut wurde). Während viele PHEV-Modelle kein Reserverad unter dem Kofferraum-Boden unterbringen und manche wegen der Batterie auch ohne Anhängerkupplung auskommen müssen, hat der Range Rover beides. Zudem zieht er mit bis 2.500 Kilogramm überdurchschnittlich viel für ein PHEV-Modell (aber 1.000 Kilo weniger als die reinen Verbrenner-Varianten des Range Rover).
Wie fährt sich der große Range Rover?
Range Rover zu fahren, ist ein sanfter Ritt. Der Brite gehört fahrerisch zur höchsten Komfortklasse, mit großem technischem Aufwand kümmert er sich um die Perfektionierung des Gleitens. Alles ist darauf ausgelegt, die Insassen von der Außenwelt zu entkoppeln: Geräusche werden ebenso weitgehend ferngehalten wie die Realität schlechter Straßen – wobei es wirklich erstaunlich ist, wie gut der Federungskomfort im Range Rover trotz 22- und 23-Zoll-Felgen ist. Kompromisse zwischen Design und Komfort müssen in dieser Klasse nicht gemacht werden.
Derart aufwändig von der Außenwelt abgeschirmt, fühlt man sich über weite Strecken in anderen Sphären unterwegs, die Außenwelt zieht nur vorbei. An irdische Grenzen stößt der Range Rover aber mitunter in urbanen Bereichen, speziell wenn zum Stehen kommt. Tatsächlich kann es in mittelgroßen österreichischen Städten schon mal vorkommen, dass beim Parken am Straßenrand zwei Räder vollumfänglich über die Markierung ragen, der Stellplatz also nicht genutzt werden kann. Auch in älteren Parkhäusern ist manchmal viel Arbeit erforderlich, das Einparksystem piepst dann aufgeregt, kann aber in den ganz engen Situationen nicht mehr helfen, da muss man schon selber schauen. Der Kundenkreis des Range Rover wird sich in der Heimat mit einem Zweitauto und in der Ferne mit dem Parkservice des Hotels zu helfen wissen, nehmen wir stark an. Dabei kann die Stadt und die Enge generell, im Range Rover schon auch ein Spaß sein. Während der Fahrt nämlich konnte dem Range Rover sogar seine eigene Größe wegentwickelt werden, die Hinterachslenkung macht ihn so wendig, das man sich am Parkplatz mitunter in einem Kompakt-SUV wähnt. Faszinierend in einem fast drei Tonnen schweren Auto.
Auf Landstraßen kommt zum ganz speziellen, hochkomfortablen Fahrverhalten eine bei Unebenheiten leicht nachschwingenden Karosserie. Das hat ein bisschen Ähnlichkeit mit Bootfahren, freilich auf einer großen Yacht. Im Dynamikmodus wiederum zeigt sich, dass die Lenkung durchaus genau ist und die Hinterachslenkung den großen Wagen agiler macht, als man denkt. Auch der elektronisch gesteuerte Wankausgleich stemmt sich vehement gegen Seitenneigung, sogar ein aktives Hinterachsdifferential ist dabei. Die erzielbaren Kurvengeschwindigkeiten sind also durchaus hoch, der Range Rover macht klar. Du kannst, wenn Du willst. In der Praxis bedeutet das mal eine flott gefahrene Autobahnauffahrt oder Kurvenpassage, dauerhaft macht es aber nicht soviel Sinn und Spaß, mit sportlichem Einsatz gegen die Physik zu arbeiten.