INTERVIEW MIT MICHAEL VAN DER SANDE, GESCHÄFTSFÜHRER JAGUAR LAND ROVER SVO

„ES WIRD IMMER EINEN MARKT FÜR UNSERE AUTOS GEBEN!“

Michael van der Sande leitet seit fast zwei Jahren den Geschäftsbereich Jaguar Land Rover Special Vehicle Operations (SVO), der unter anderem so faszinierende SV-Modelle wie den Jaguar F-TYPE SVR oder den Range Rover Velar SVAutobiography Dynamic hervorgebracht hat. Hier im Interview.

Q: Herr van der Sande, sie leiten seit fast zwei Jahren Jaguar Land Rover Special Vehicle Operations, als Nachfolger von John Edwards, der 2014 den neuen Geschäftsbereich aufgebaut hatte. Was waren seitdem die für Sie anspruchsvollsten Projekte und welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
A: Ich war zuvor einige Jahre in Frankreich und daher ging es für mich erst einmal darum, den Geschäftsbereich mit seinen zahlreichen Tätigkeitsfeldern kennenzulernen, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Es waren schon eine Reihe von Projekten auf dem Weg und ich war der Glückliche, der sie vorstellen durfte. Allen voran den Jaguar FPACE SVR und den Range Rover Velar SVAutobiography Dynamic – zwei Modelle, die mit Preisen zwischen 100.000 und 120.000 Euro im Kerngeschäft des Super-Premium-Marktes antraten. In jüngerer Vergangenheit hat mich der Zukauf des Off-Road Spezialisten Bowler sehr gefreut. Es versetzt uns in die Lage, die 4×4 Gene der Marke Land Rover noch weiter auszubauen.

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Q: Sie melden für das letzte Geschäftsjahr einen substanziellen Zuwachs auf über 9.500 Neufahrzeuge. Wieviel Prozent entfallen dabei auf Jaguar und wieviel auf Land Rover?
A: Über das ganze Jahr gerechnet haben wir im Neuwagenabsatz um 64 Prozent zugelegt. Zu diesem Zuwachs trugen SV-Typen von Jaguar zu zwei Dritteln bei.

Q. Sie kamen von Alpine, der sportlichen Submarke von Renault. Wie würden Sie die Unterschiede beschreiben, in Bezug auf die Unternehmenskultur und die Produkte?
A. Die Produkte sind extrem unterschiedlich. SV ist eine High-end-Luxus- und Performance Marke, Alpine die Neuschöpfung einer sportlichen Traditionsmarke. Es gibt aber in Bezug auf die ausgeführten Arbeiten durchaus Gemeinsamkeiten. Jaguar Land Rover SV baut Autos von Weltklasse, die dem Kunden viel Spaß bereiten, wobei es bei Land Rover um die 4×4 Fähigkeiten sowie um Luxus, Individualität und Performance geht. Für Jaguar wollen wir die emotionalsten Modelle einer Baureihe entwickeln – auch hier stehen Performance und Individualität im Vordergrund. Bei Alpine geht es vor allem um superleichte Sportwagen. Was die Unternehmenskultur betrifft, geht es bei beiden Marken um einen Pionierspirit, den die Mitarbeiter mitbringen sollten. Bei Jaguar Land Rover habe ich ein sehr kreatives Team, die mit den SV Modellen etwas Besonderes für unsere Kunden schaffen wollen.

Q: Trotz des allgemein schwierigen Umfelds für die Automobilindustrie als Ganzes nahm die Nachfrage nach SV Fahrzeuge im Geschäftsjahr 2019/20 weiter deutlich zu. Wie erklären Sie sich diesen antizyklischen Trend?
A: Der Markt für SV Fahrzeuge ist klein und sehr fein. Das sind Modelle, die eine emotionale Reaktion erzeugen – Modelle, die die Leute wirklich begehren. Deshalb ist dieses Segment auch krisensicherer. Und dann geht es darum, für diesen Kundenkreis die richtigen Produkte zum richtigen Zeitpunkt zu haben, beispielsweise Modelle wie den F-Pace SVR oder den Range Rover Sport SVR. Und auch Modelle wie den Jaguar XE SV8, mit denen wir trotz kleiner Stückzahl zeigen können, wozu wir in der Lage sind. Es wird immer einen Markt für diese Autos geben, auch wenn die Gesamtwirtschaft leidet.

Q: Könnten Sie kurz die unterschiedlichen Abteilungen innerhalb von Special Vehicle Operations beschreiben?
A: Die High-end Fahrzeuge der Marken Jaguar und Land Rover mit dem SV-Signet werden in einer Abteilung namens SV Engineering entwickelt. Deren Leiter ist Jamal Hameedi, der von Ford Performance zu uns stieß. Wir haben Abteilungen für Fahrwerk, Antriebsstrang, Exterieur- und Interieur-Design, Fahrzeug Integration sowie die Testabteilung. Die SVFahrzeuge machen den größten Anteil aus, aber daneben gehören zu Special Vehicle Operations auch noch Jaguar Land Rover Classic, Bowler und die Abteilung Fahrzeugindividualisierung, in der Serienfahrzeuge nach den speziellen Wünschen unserer Kunden gebaut werden. Da geht es um besondere Farben und Accessoires, aber auch um Polizei-Umbauten, gepanzerte Fahrzeuge wie den Range Rover Sentinel und kommerzielle Umbauten. Ich bin sehr begeistert über den kommenden Land Rover Defender Commercial, den wir als Defender 90 und 110 anbieten können und den wir auf der IAA letztes Jahr bereits als Prototyp gezeigt haben.

Q: Wie groß ist die Belegschaft von Special Vehicle Operations aktuell?
A: Nimmt man Produktentwicklung, die Fertigungsbereiche sowie Verkauf & Marketing haben wir allein für die SV-Fahrzeuge über 1000 Beschäftigte. Dazu kommen mehrere 100 weitere in den anderen Bereichen. Unabhängig von Alter, Geschlecht und familiärem Hintergrund wollen wir die besten Mitarbeiter/innen beschäftigen und neu anwerben. Denn wir konkurrieren mit den kompetentesten Mitbewerbern in der Automobilbranche, die alle die anspruchsvollsten Autokunden der Welt für sich gewinnen wollen. Dabei kommt es sowohl auf teils sehr traditionelle Handwerkskunst an, andererseits auf extrem digitalisierte Fertigkeiten und Software-Skills. Qualität geht vor Quantität, und mir ist eine hohe Motivation meiner Mitarbeiter/innen wichtig – an den begehrtesten Arbeitsplätzen, die Jaguar Land Rover zu bieten hat.

Q: Gibt es innerhalb der Jaguar und Land Rover Designstudios in Gaydon spezielle Abteilungen, die sich ausschließlich mit SV-Fahrzeugen beschäftigen?
A: Ja, die gibt es in der Tat und auch ganz bewusst. Der Austausch mit den Designdirektoren Julian Thompson und Gerry McGovern ist sehr eng – Julian definiert zum Beispiel, wie ein Jaguar aussehen muss und ich steuere bei, was den speziellen SV-Touch ausmacht, der für die Kunden nachvollziehbar und sichtbar sein muss.

Q: Ist Ihr Geschäft weniger verwundbar, weil Ihre Kunden im Schnitt doch eher zu den sehr gut verdienenden Bevölkerungsschichten gehören und sie wirtschaftliche Rezessionen oder eine Krise wie die aktuelle einfach besser abfedern können?
A: Wir haben eine sehr breit gefächerte Kundengruppe. Was sie am Ende alle verbindet, sind die Emotionen, die sie für die Modelle aufbringen und die verfügbaren finanziellen Mittel, um sich das Beste leisten zu können.

Q: Sind die Kernmärkte von SV mehr oder weniger identisch mit denen der Jaguar Land Rover-Serienmodelle? Also USA, UK, Zentral-Europa und Mittlerer Osten?
A: Nach ganz aktuellen Zahlen sind die USA der aktuell größte Markt. Weitere starke Märkte sind das Vereinigte Königreich und Kontinental-Europa. Wir bemühen uns gerade, unseren Marktanteil in China zu vergrößern, wo SV noch relativ neu ist. In Deutschland konkurrieren wir mit drei, vier sehr ernsthaften heimischen Wettbewerbern. Wir wollen dort organisch wachsen, mit einem klar definierten Angebot. Deutsche Kunden verstehen sehr gut, was einen Luxus- und einen Hochleistungswagen ausmacht.

Q: Ihre Bespoke-Abteilung, zuständig für Individualisierungen, verzeichnet ebenfalls signifikante Zuwächse. Welche Artikel verzeichnen die höchsten Bestellraten?
A: Mit Abstand der größte Erfolg ist die fast unendliche Palette an hochwertigen SpezialLackierungen, die wir dank unserer eigenen hochspezialisierten Lackiererei innerhalb des Special Vehicle Operations Technical Centre realisieren können. Neben ausgefallenen Tönen oder Satin- und Dreischicht-Lacken haben wir auch fantastische Zweiton-Lackierungen. Die Lackieranlage nutzen wir auch für die speziellen Einführungsmodelle, wie beispielsweise die Gelbtöne des neuen F-TYPEs.
Das zweite große Standbein sind Interieur-Trims. Also spezielle Farben, Stichmuster, Materialien. Wir machen auch spezielle Autos für die Filmindustrie – wie für den neuen Bond. Wir haben auch schon Rennwagen gebaut oder ein State Review Fahrzeug für die Queen. Wir können echte Einzelstücke bauen, oder Kleinserien von nur fünf oder zehn Wagen.

Q: Würden Sie Wünsche ablehnen, weil sie zum Beispiel nicht zu den Markenwerten passen? Wie einen pinken F-TYPE oder ein Interieur in Krokodil-Leder?
A: Prinzipiell wollen wir nie „Nein” sagen. Wir wollen immer mit dem Kunden zusammenarbeiten und gemeinsam zu der für ihn jeweils besten Lösung kommen. Materialien sollen sich nicht beißen, die Kunden sollen den Kauf hinterher nicht bereuen. Wir können im Vorfeld perfekt in 3D visualisieren, wie das Auto innen und außen am Ende aussehen und wirken wird. Grundsätzlich nutzen wir aber nur Materialien von zertifizierten Jaguar Land Rover Zulieferern, die unseren Anforderungen hinsichtlich Strapazierfähigkeit, Verschleiß und Farbechtheit gerecht werden müssen. Deshalb wäre Krokodilleder auch keine Option.

Q: Können Kunden Leistungssteigerungen ihres serienmäßigen V8 Kompressor-Modells nachbestellen?
A: Nein, weil beispielsweise 50 mehr-PS Neuanpassungen an die Kühlung, an die Bremsen, an die Lenkung und die Reifen erfordern würden. Alle SV-Fahrzeuge mit Leistungen zwischen 550 und 600 PS sind komplett entwickelt und getestet; können 100.000 Kilometer problemlos abspulen, genießen drei Jahre Garantie und so weiter. Wir betreiben also kein Retro-Fitting für existierende Modelle mit PS-Leistungen, die das übrige Auto eventuell nicht gefahrlos umsetzen kann.

Q: Stichwort Materialien: Holz und Leder scheinen ein Relikt des alten England zu sein. Wie sehen Sie die Zukunft von Leder und gibt es einen Trend hin zu nachhaltigen NichtLederprodukten, wie zum Beispiel erstmals im Range Rover Velar ungesetzt?
A: Die Antwort heißt eindeutig Ja! Weil das ein sehr spannendes Thema ist. Die Technologien entwickeln sich ständig weiter, ebenso wie die Vorlieben der Kunden. Wir haben in einigen unserer Fahrzeuge einen sehr hochwertigen Stoffsitz, dazu gibt es viele gute Beispiele für High-tech-Kunstleder, wie erwähnt auch im Range Rover Velar. Für mich zählt vor allem, dass die haptischen Qualitäten eines jeden Materials unseren hohen Ansprüchen gerecht werden. Und das kann man sowohl mit traditionellen als auch neuen Materialien erreichen. Übrigens gibt es inzwischen sehr moderne Beispiele für Holzapplikationen. Zum Beispiel im Defender X, in diesem Fall sogar ein Großserienmodell.

Q: Sie würden also nicht, wie es Tesla macht, Leder ganz aus Ihren Fahrzeugen heraushalten?
A: Nein, dafür haben wir zu viele Kunden, die noch immer Leder wünschen, zumindest als Option. Doch es wird künftig mehr Alternativen zu Leder geben, die auch stärker nachgefragt werden dürften. Wie stark, werden wir aber erst in ein paar Jahren sehen.

Q: Jaguar Land Rover Serienfahrzeuge haben in jüngerer Vergangenheit mehrere neue Rundenrekorde auf der Nürburgring-Nordschleife gefahren. Denken Sie, dass angesichts immer stringenterer Abgasvorschriften und Geschwindigkeitsbegrenzungen solche Rekorde noch in die Zeit passen? Oder anders gefragt: Warum lassen sich Autokunden davon noch so begeistern?
A: Ich denke, es ist der Reiz dieses Adrenalinschubs, der entsteht, wenn man selbst schnell fährt oder anderen beim schnellen Fahren zusieht. Das Ausreizen und weiter Vorantreiben der Technologie fasziniert. Wie in einem Auto, das die Nordschleife in 7:18 Minuten zurücklegt, wie unser Jaguar XE SV8. Hier geht es also um Emotionen, doch im gleichen Atemzug stellen wir sicher, dass sich unsere Autos auf öffentlichen Straßen sicher, komfortabel und nachhaltig bewegen lassen. Die Plug-in-Hybrid-Version des Range Rover SVAutobiography ist ein gutes Beispiel dafür.

Q: Nebenbei gefragt: Wäre eine SV-Version eines elektrischen Jaguar Land Rover Modells denkbar?
A: Der vollelektrische Rennwagen Jaguar I-PACE e-Trophy wurde von SVO entwickelt und gebaut. Dabei haben wir viel in den Bereichen des Thermomanagements, der Batterietechnologie bis hin zur Gewichtsverteilung im Auto gelernt, was wir an die Kollegen in der Serienentwicklung weitergeben konnten. Und was die Frage anbetrifft: Wir studieren alle Möglichkeiten, unser Portfolio zu erweitern. Lassen Sie sich überraschen. Es muss in jedem Fall ein Luxus-und Performance-Ergebnis der besonderen Art sein.

Q: Die Automobil-Industrie steht vor ihrer vielleicht größten Herausforderung, seit der Verbrennungsmotor die Dampfmaschine und frühe Elektroantriebe abgelöst hat. Oder das Auto die von Pferden gezogene Kutsche. Elektrifizierung, autonomes Fahren und Digitalisierung sind die Schlüsselbegriffe. Wie werden sich diese globalen Trends auf das Geschäft von Special Vehicle Operations auswirken?
A: Alle diese Trends werden auch Special Vehicle Operations beeinflussen. Es wird darum gehen, die emotionale Beziehung zu unseren Autos aufrechtzuerhalten. Was zunächst einmal unabhängig von Technologien ist. Natürlich werden auch unsere Autos mehr und mehr elektrifiziert sein, und die digitalen Tools stehen uns darüber hinaus auch zur Verfügung. Das wird künftig auch die Affinität zu den beiden Marken und das Gesamterlebnis von Luxus und Performance, also den speziellen Reiz der SV-Modelle, ausmachen.

Q: Und nun kommt kurzfristig auch noch die Corona-Krise on top. Wie wird sich das auf Ihr Geschäftsergebnis 2020/21 auswirken? Was sorgt Sie am meisten?
A: Ich denke, das kann niemand genau voraussagen. Wir konzentrieren uns zunächst vor allem darauf, das Geschäft so sicher wie möglich für unsere Mitarbeiter/innen weiterzuführen. Und wir priorisieren die wichtigsten Aktivitäten, wie z.B. die Einführung des Defender Commercial und die Erweiterung unseres Vertriebsnetzes, d.h. der Aufbau von speziellen SV Centres bei unseren Händlern. Es können zwar alle Händler SV Modelle anbieten, aber wir möchten die besonderen und individuellen Wünsche unserer Kunden weltweit noch besser erfüllen können – mit qualifiziertem Personal und mit speziell ausgestatteten Showrooms. In Deutschland beispielsweise haben wir aktuell zwei spezialisierte Händlerbetriebe, weitere sollen noch in diesem Jahr folgen.

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